Erstmal ein bisschen zu meinem Hintergrund:
Ich bin mittlerweile 34 Jahre alt und komme aus dem Großraum Köln (eine Kleinstadt 50 km davon entfernt). Ich habe 2 Schwestern und einen Bruder, alle jünger. Mit meiner Mutter habe ich kleines Problem, das noch aus meiner Kindheit stammt: sie hat mich immer als Nebenbuhlerin um die Gunst meines Vaters angesehen. Und sie redet mehr über ihre Schulkinder (sie ist Grundschullehrerin) als über ihre eigenen. Wir sind also alle Papa-Kinder.
Als Jugendliche habe ich mich immer ein bisschen als Außenseiter gefühlt, anders als die anderen. Ich habe nie viele Freunde gehabt und war sehr erstaunt, als ich bei unserer Hochzeit herausgefunden habe, wie viele Leute mich mögen. Da haben mir Leute gratuliert, von denen ich eigentlich dachte, sie würden mich nicht ausstehen können. Das hatte ich nicht erwartet.
Ich habe Abitur und ein abgeschlossenes Architektur-Studium. Nach dem Studium kam allerdings eine ziemlich harte Zeit von fast zwei Jahren, in denen ich keine Arbeit gefunden habe und mich als Zeitarbeitskraft in Fabriken versklaven musste.
Meine erste Arbeitsstelle, die auch mit meinem Beruf zu tun hatte, war in der Bauabteilung eines Industrieunternehmens. Unbezahlte Überstunden und Motze, wenn man morgens nicht pünktlich war. Mit den Kollegen durfte ich auch keinen weiteren Kontakt pflegen, aus welchem Grund auch immer. Und leider war der Chef ein kleiner Giftzwerg und cholerisch, und ich zur falschen Zeit am falschen Ort, so dass mein Zeitvertrag nicht verlängert wurde, und ich wurde auch noch fast drei Monate für das Nicht-Erscheinen bezahlt.
Vor Ablauf meines Vertrages hatte ich dann schon meine nächste Stelle, die dann allerdings bei Stuttgart. Ich musste innerhalb von zwei Wochen eine Wohnung suchen und umziehen. Aus einer geräumigen Wohnung (eigentlich ein kleines Häuschen), die ich selbst entworfen hatte (das Häuschen gehört meinem Vater und musste dringend neu gemacht werden, weil es völlig verfallen war), in eine Ein-Zimmer-Wohnung in einer Residenz (oder auch Altenheim). Das war die beste Wohnung, die ich in der kurzen Zeit gefunden habe. Aber es war schon in Ordnung. Wenn ich Gesellschaft brauchte, bin ich einfach zum Pförtnertisch gegangen, da saß immer jemand zum Reden. Trotzdem war das eine Zeit voller Heimweh und Einsamkeit, weil ich nur gearbeitet und geschlafen habe. Für mehr hatte ich weder Zeit noch Geld. Und spätestens alle vier Wochen bin ich nach Hause gefahren, weil sonst der Leidensdruck zu groß wurde. In der Zeit habe ich übrigens angefangen, zu bloggen. Im Büro hatte ich am Ende jede Menge Verantwortung, bin in die Slowakei geflogen und so, aber weil ich die Gedanken des Chefs nach einem Jahr immer noch nicht lesen konnte, wurde mein Vertrag auch hier dann nicht verlängert. Das war echt enttäuschend.
Weil ich das aber schon früh genug wusste, hatte ich mich im Kreisbauamt meiner Heimat beworben. Ich bekam den Job, und es war ein Traum. Geregelte Arbeitszeiten, mehr Geld, nette Kollegen, kein Stress und vor allem war ich wieder zu Hause. Juchuuu!
Da war dann allerdings ein anderes Problem: Ich hatte einen Mann kennengelernt, mit dem ich mir Heiraten und Kinderkriegen vorstellen konnte. Allerdings war der Mann Pfarrer (evangelisch, was dem Heiraten dann nicht im Wege stand) und würde in absehbarer Zeit arbeitslos werden. Arbeit gab es nur in der Schweiz. Jetzt stand ich vor der Entscheidung Mann und eigene Familie oder alte Familie, Job und Heimat. Ich habe mich für den Mann entschieden, wie Du Dir denken kannst.
Eigentlich hatte ich im Stillen gehofft, seine Bewerbungen würden fruchtlos bleiben, aber dem war dann nicht so. Als er das Vorstellungsgespräch in der Gemeinde hatte, in der wir jetzt leben, war es erwünscht, dass ich mitkäme. Damals waren wir noch nicht verheiratet, und ich hatte schwere Bedenken, weil die Leute hier schwer konservativ zu sein schienen. Ehrlich gesagt, wollte ich gar nicht hierher. Bis wir dann in die Bodensee-Region kamen und man schon von weitem die Alpen sehen konnte. Und die Gegend, in der die Gemeinde liegt, ist wunderschön und sieht fast aus wie meine Heimat. Sogar die Leute sind vom Charakter her ähnlich. Ich wusste sofort, dass ich hier so heimisch wie irgend möglich (meine Wurzeln sind und bleiben in meiner Heimat) werden würde. Wir wurden herzlich begrüßt, alles war schön.
Dann standen Hochzeit und Umzug an. Und die Aufgabe meiner Arbeitsstelle. Um eine neue Arbeit hatte ich mich beworben, war aber undankbarerweise auf Platz zwei gelandet. Also wurde ich Hausfrau und zog meinen Haushalt wie einen Job auf. Also so gut wie möglich, aber nicht zu ernst (sonst wäre ich bei dem Dreck, den unser Hund immer anschleppt, verrückt geworden; die Katze ist lustigerweise noch schlimmer). Sogar den Garten habe ich in Ordnung gehalten, obwohl ich Gartenarbeit schrecklich finde.
So, soviel zum offiziellen Teil. Jetzt ein bisschen zu meiner Persönlichkeit. Es wohnen zwei Seelen in meiner Brust. Die eine konservativ und brav, die andere wild und angstfrei. Beiden habe ich immer genügend Raum gegeben. Ich habe mich ehrenamtlich viel in der Kirche engagiert, war sogar im Vorstand, habe im Kirchenchor gesungen und bin oft in die Kirche gegangen. Aber ich habe auch verrückte Sachen gemacht, habe Eckpunkte meines Lebens in Form von Tätowierungen auf meinem Körper verewigt (es sind nur zwei, also nicht soo wild), habe gekifft und getrunken, geraucht sowieso. Ich bin für einen Mann nach Amerika geflogen, habe mich auf einen zwölf Jahre jüngeren eingelassen, war auf vielen wilden Konzerten, teilweise sind auch Fotos im Netz (glücklicherweise muss man dafür schon wissen, wo sie zu finden sind). Die letzte Aktion war ein Fotoshoot im Brautkleid im Hochseilgarten (ich hatte Spaß, mein Mann Angst). Ich habe oft wenig oder gar nicht nachgedacht, weil es eh immer kam, wie es kam. Und meistens kam es gut. Ich bin auch nachts durch die Gegend gejoggt, was sollte schon passieren?
Die letzten Jahre haben mich auch Gottvertrauen gelehrt. Was auch immer ich durchmachte, es kam immer ein Ende und wurde besser.
In der Fabrik habe ich Selbstbehauptung gelernt, mein Mundwerk wurde groß, meine Schüchternheit, die ich vorher hatte, musste ich ablegen. Und ich habe zehn Kilo abgenommen.
In der Bauabteilung des Industrieunternehmens bin ich leidensfähig geworden. Ich habe für alles Mögliche einen auf den Deckel bekommen: während der Arbeitszeit mit Kollegen geredet, während der Arbeitszeit gelacht, Pause gemacht mit Arbeitskollegen (männlichen, wohlgemerkt!!), zu kurze Oberteile (die Teile waren normal lang, aber wohl nicht lang genug),… In der Zeit habe ich angefangen, jeden Tag Sport zu machen. Mein Jogging war eher ein Weglaufen, und Aikido habe ich gebraucht, um meine Gefühle in den Griff zu bekommen. Und dann der Rausschmiss. Der Chef hatte schlechte Laune, meine Nase hat ihm nicht mehr gepasst, also musste jemand fliegen. In dem Falle leider ich. Ein halbes Jahr später hat es meinen direkten Vorgesetzten getroffen, der auch von einer Sekunde auf die andere gehen durfte.
Die Sache hat mich allerdings echt mitgenommen. Ich habe mich minderwertig gefühlt, unnütz. Zwar habe ich nach einem neuen Job gesucht, aber, genau wie vorher auch schon immer, nur Absagen bekommen. Von der Couch runter hab ich’s nur ganz selten geschafft, den ganzen Tag nur TV geglotzt und ein bisschen geheult.
Aber dann hatte ich buchstäblich von einem Tag auf den anderen eine neue Arbeitsstelle. Allerdings musste ich wegziehen. Die Wohnungssuche war ein Graus. Die meisten Wohnungen in Stuttgart waren zu teuer, die anderen waren buchstäbliche Löcher. Und ich kam doch aus einer wunderschönen Wohnung, die ich nicht nur entworfen sondern auch mit gebaut hatte! Die einzige Wohnung, die mir gefiel, war halt in dem Altenheim. Und weil ich sowieso mehr gearbeitet habe als dass ich zu Hause war, war das auch kein Problem. Hier habe ich gelernt, was Einsamkeit und Heimweh ist. Ich kannte außer meinen Kollegen keinen Menschen weit und breit, und die Schwaben sind auch nicht gerade für ihre Kontaktfreudigkeit bekannt. Da ich abends meist eh vor dem Fernseher kollabiert bin, hat mir das die meiste Zeit nichts ausgemacht, aber die Wochenenden waren schrecklich. Über’s Internet habe ich ein paar Männer kennengelernt, eine zeitlang hatte ich regelmäßig mittwochnachts Besuch, aber über eine Sex-Beziehung ist das nie hinausgegangen. Der Druck im Büro war enorm. Das Arbeitsklima war zwar echt klasse, aber so hart wie gefeiert wurde halt auch gearbeitet. Und als ich dann das erste Mal in der Slowakei auf meinem Hotelzimmer saß, hab ich bald die Kriese bekommen, und gedacht, ich schaffe das nicht. Aber es hat irgendwie doch hingehauen. Und ich habe den Mut nie sinken lassen.
Klar hat es mich frustriert, dass mein Vertrag mal wieder nicht verlängert wurde. Aber da hatte ich meinen Mann schon kennengelernt, und der wohnte in meiner Heimatstadt. Außerdem habe ich dann diese wunderbare Arbeitsstelle auf dem Amt gefunden. Das war der Traumjob schlechthin. Kein Stress, Erholung pur. Und Menschen um mich herum, die ich beraten konnte, Außendienst, und viel Spaß bei der Arbeit. Es hat mir echt leid getan, dass ich da kündigen musste. Aber es ging ja leider nicht anders.
Dann wurde ich Hausfrau, was ja sowieso nur temporär gedacht war, da wir eine Familie gründen wollten. Und das hat dann auch relativ schnell funktioniert.
Alles hat sich irgendwie perfekt gefügt und war gut, wie es gekommen war.
Mein Mann und ich führen eine ganz ordentliche Ehe, würde ich sagen. Da mein Mann sowieso nicht der leidenschaftliche Typ ist, brennt bei uns kein loderndes Feuer oder so, aber wir kommen gut miteinander aus, und wir lieben uns auf unsere verschiedenen Arten. Wir sind halt sehr unterschiedlich. Ich habe einige Männer verschlissen (naja, manchmal bin ich da nicht ganz so stolz drauf), mein Mann hatte vor mir keine richtige Beziehung. Das war am Anfang etwas problematisch, da er bei jedem Streit meinte, wir stünden vor der Scheidung. Das hat sich mittlerweile aber gelegt, auch streiten wir nicht mehr so viel, da ich gelernt habe, wie ich ihn zu nehmen habe. Mein Mann verbirgt seine Emotionen meistens, während ich aufbrause und auch schon mal sehr laut werden kann.
An unserem Auswanderungsort haben wir uns gut eingelebt. Am Anfang war das Heimweh groß, aber mit der Zeit hat sich das mehr und mehr gelegt. Und ich bin der Meinung, dass, wenn wir hier nicht glücklich wären, das Warten auf eine Schwangerschaft länger gedauert hätte als 3 Monate.
Womit ich bei der Schwangerschaft angekommen wäre. Am Anfang der SS habe ich mein Leben so weitergelebt wie vorher. Ich habe mir gesagt, ich bin ja nicht krank, ich bin nur schwanger. Mir war auch meist nicht schlecht, es ging mir echt gut. Bis ich dann eines Nachts (8. Woche) auf Toilette ging und mehr kam als nur Urin. Ich hatte eine echt schlimme Blutung, also sind wir um vier Uhr morgens ins Krankenhaus gefahren. Die ganze Fahrt über hatte ich echt Angst, ich hätte das Kind verloren. Und im Krankenhaus war dann auf dem Ultraschall erst mal nichts zu erkennen. Die Erleichterung kam erst nach dem Gang aufs WC, wonach die volle Blase den Blick auf den Embryo versperrt hatte. Ich musste im Krankenhaus bleiben und durfte vorerst nicht aufstehen.
Es folgten einige sehr langweilige Tage im Spital, wo ich dann zum Duschen und Essen aufstehen durfte. Auf Toilette durfte ich natürlich auch. Aber sonst nichts. Dann habe ich nur ferngesehen. Manchmal rief jemand an, das war dann wenigstens eine Abwechslung. Aber es war schwer langweilig, vor allem, weil ich alleine auf dem Zimmer lag. Nach 5 Tagen durfte ich wieder nach Hause, musste mich aber schonen. Und da begannen dann die Schmierblutungen. Ich hatte mehr als drei Wochen leichte Schmierblutungen und habe die ganze Zeit das Bett gehütet. Und Harz-IV-TV geglotzt. Da habe ich mein Kind Bernd genannt, weil das so interessant war, wie Farbe beim Trocknen zuzusehen, und das ist ja ein Hobby von „Bernd das Brot“. In der Zeit habe ich eine besondere Bindung zu Bernd aufgenommen. Ich hab immer wieder gefragt: „Bist du noch da?“ und zurück kam ein leichtes Kribbeln. Da wusste ich dann, dass alles in Ordnung war.
Bei meinem nächsten Gyn-Termin waren die Blutungen weg und auch keine neuen Einblutungen zu entdecken. Mein Mann wollte ein paar Wochen später mit Konfirmanden ins Lager (Jugendherberge in Ravensburg) fahren, und da wollte ich mich eigentlich drum drücken, weil ich Angst hatte, es könnte wieder was passieren, und weil ich keine Lust hatte. Und ich hatte gehofft, meine Gyn würde mir von der Fahr abraten. Hat sie aber nicht. Und hat explizit gesagt, das würde mir sicher gut tun.
Also bin ich mitgefahren, was auch gut war. Ich habe mich zwar nicht so toll gefühlt (latente Übelkeit und Unwohlsein, aber kein Erbrechen, waren meine Begleiter in den ersten Wochen der Schwangerschaft. Aber ich war so glücklich über das Baby, dass ich blendend aussah. Meine Gyn hat gelacht, als ich meinte, mir sei hundeelend (ich hab auch nicht gerade ausgesehen, als fänd ich das schlimm).), aber es war eine schöne Woche, die mir wieder Mut gemacht und mich zurück auf meine Beine gebracht hat. Am Wochenende danach waren wir auf einer Hochzeit, wo ich dann auch bis tief in die Nacht getanzt habe und viel Spaß hatte.
Von da an hatte ich richtig Spaß an meiner Schwangerschaft. Nachdem ich beim großen Ultraschall im Krankenhaus eine ausdrückliche Entwarnung vom Arzt bekommen hatte („Wenn Sie in den letzten Wochen keine Blutungen hatten, dann können Sie das Kapitel getrost abhaken.“), habe ich auch wieder Sport gemacht. Zwar nur noch Nordic Walking, aber immerhin bin ich meine Kilometer gelaufen.
Bernd hat mir auch Spaß gemacht. Ein echt liebes Kind. Hat nur selten Organe getroffen, die weh taten, war schon früh ein Musik-Fan (ich singe in zwei Chören mit, höre den ganzen Tag Musik und singe fast immer mit) und hat mich nachts kaum gestört. Mein Bauch ist schnell groß geworden, später dann immer weniger. Aber das ist bei manchen Frauen halt so, habe ich mir gedacht. Ich habe mit meinem Bauch geredet und mich auf mein Kind gefreut. Und ich habe sogar mit dem einen Chor Ende Januar noch ein großes Konzert gesungen. Und es hat Bernd sehr gut gefallen.
Wir sind noch oft in die Therme und in die Saune gegangen, ich habe weiterhin meinem Mann bei seiner Jugendgruppe geholfen und den Weltgebetstag für dieses Jahr organisiert. Die Vorarbeit hatte ich schon früh fertig, für alle Fälle, und den Weltgebetstag an sich würde ich schon irgendwie schaukeln. Immerhin war mein Termin fast einen Monat vorher.
Im Januar hatte ich einen merkwürdigen Traum: Mein Uterus ist weg und das Baby ist in meinem Bauch. Man konnte die Finger einzeln erkennen, als es mich von innen in den Bauch geboxt hat. Und plötzlich kamen die Hände aus meinem Bauch heraus, und ein wunderschönes Mädchen war geboren, ohne Schmerzen. Ich habe gesagt: „Hallo Bernd, ach nein, du bist ja Anne!“ und das Mädchen hat geantwortet: „Ja, wird auch Zeit, Bernd ist wohl nicht mehr so angebracht!“
Im Nachhinein ein echt prophetischer Traum, oder?
Vor der Geburt an sich hatte ich nie Angst. Die Schmerzen hätte ich sicherlich ertragen können, ich habe eine hohe Leidensgrenze. Nach meiner Blinddarm-OP hatte ich so schlimme Phantom-Schmerzen, dass ich fast ohnmächtig geworden bin. Schlimmer würde die Geburt sicher nicht sein.
Ich malte mir eine Wassergeburt aus, oder eine auf dem Maya-Hocker. Ich wollte mich nicht festlegen, weil ich ja nicht wusste, was mir während der Geburt gut tun würde. Einen Kaiserschnitt hatte ich als Notfalllösung auch im Kopf behalten, aber eigentlich völlig weggeschoben, weil ich keine Zweifel hatte, dass alles gut gehen würde.
Aber es kam ja alles anders.
Ich bekam keine Wehen. Auch vorher nicht. Keine Senkwehen, keine Übungswehen, nichts. Ein bisschen habe ich mich gewundert, aber ich dachte, das kommt sicher noch. Aber nichts geschah. Ich habe mich viel bewegt, um das Kind anzustubsen. Die Weinranken an der Pergola und einige Sträucher im Garten habe ich beschnitten, habe viel getanzt (daher hat Anne eine Vorliebe für Peter Fox) und bin Treppen hoch und runtergerannt. Spazierengehen ging nicht mehr, weil dann die Toilette zu weit weg war. Und ich musste alle halbe Stunde drauf. Trotzdem habe ich mir keinerlei Sorgen gemacht, viel gelacht und Witze gemacht, dass Bernd bis zum Abitur drinbleiben will.
Die Untersuchungen bei meiner Gyn waren immer in Ordnung. Die Herztöne waren stark, alles im normalen Bereich. Ich habe mir überhaupt keine Sorgen gemacht, denn die Bewegungen waren stark, sie hatte Wach- und Schlafphasen, alles, wie es im Buche stand. Bloß keine Anzeichen, dass sie irgendwann auch mal auf die Welt kommen wollte. Aber ich dachte, dass alles zu seiner Zeit kommt.
Meine Gyn dachte das irgendwann halt nicht mehr. Als ich 4 Tage über Termin war, hat sie mich in die Klinik geschickt, damit die mich da durchchecken, weil die bessere Geräte haben. Meine Gyn meinte aber, es wäre sicherlich alles kein Problem, Fruchtwasser sei genug da.
Zwei Tage später: Herztöne weiterhin in Ordnung, keinerlei Wehen auf dem CTG. Aber das Fruchtwasser würde langsam knapp. Da habe ich mich echt gewundert. Wo war denn mein Fruchtwasser hin? Verdunstet? Unten war jedenfalls nichts rausgekommen. Und gemessen wurde mein Kind auch: normaler Kopfumfang und so zwischen 3 und 4 Kilogramm.
Die Hebamme hat mir dann noch Nelkenöl und Globoli mitgegeben, um ein bisschen anzustubsen. Einen Termin für den 14.2. habe ich dann auch gleich noch bekommen. Falls es bis dahin nicht auf normalem Weg klappen sollte, wollten sie dann medikamentös nachhelfen.
Dann kamen meine Eltern noch zu Besuch. Die wollten eigentlich ihr Enkelkind besuchen, aber das war ja noch nicht da. Aber ihr eigenes Kind wollten sie auch besuchen, also sind sie trotzdem gekommen. Aber ich war echt froh, meine Eltern dazuhaben, weil es das Warten etwas verkürzt hat.
Die „Anstubser“ haben alle nichts genützt. Ich habe sogar einen selbstgebrauten Wehencocktail getrunken, der auch nichts gebracht hat. Aber was sollte schon schiefgehen? Immerhin lag das Kind richtigrum (es hatte sich erst Anfang des Jahres gedreht), mein Becken ist auf jeden Fall breit genug, und meinen Optimismus konnte auch keiner schlagen.
Also sind wir sonntagmorgens in die Klinik gefahren. Da wurde ich dann ans CTG angeschlossen und nochmal per Ultraschall untersucht. Der Muttermund war weich, aber noch nicht weit geöffnet. Alles in bester Ordnung. Mir wurde ein Zäpfchen gelegt, dass eine Stunde einwirken musste.
Meinen Mann habe ich wieder weggeschickt, der musste noch einen Gottesdienst halten, und ich war der Meinung, es würde reichen, wenn sich einer von uns langweilt. Meine Eltern haben dann auf das Handy meines Mannes aufgepasst, für den Fall, dass ich anrufen würde.
Nach der Stunde wurde ich auf ein Zimmer auf der Wöchnerinnenstation gebracht. Ich habe gelesen und einfach nur gewartet, dass etwas passiert. Die Wirkung des Zäpfchens sollte innerhalb von sechs Stunden eintreten. Irgendwann kam dann mein Mann wieder. Wir haben zusammen einen Kaffee getrunken und sind ein bisschen im Krankenhaus rumgelaufen (fürs Spazierengehen war das Wetter zu schlecht).
Als die sechs Stunden um waren, war immer noch nichts passiert. Nicht den Hauch einer Wehe hatte ich gespürt. Da habe ich mich schon ein bisschen gewundert, aber ich dachte, wenn ich an den Tropf komme, dann passiert bestimmt etwas. Ich kam an den Tropf, und erst mal passierte wieder nichts. Keine Schmerzen, nicht einmal ein leichtes Ziehen. Und der Wehenschreiber schrieb auch nichts.
Dann wurde die Dosis erhöht, und endlich passierte etwas. Aber leider nicht das, was ich erwartet hatte. Ich hatte ein leichtes Ziehen im Unterbauch, ähnlich ganz leichten Regelschmerzen. Und die Herztöne des Kindes gingen regelmäßig runter. Anfangs war das Ziehen so leicht, dass man es nicht mit den Herztönen in Verbindung bringen konnte, weil ich es kaum gespürt habe. Aber dann habe ich mit der Hebamme darauf geachtet, und die Herztöne und mein Ziehen kamen zur selben Zeit. Daraufhin hat die Hebamme die Ärztin verständigt, die sich das angesehen hat und dann mit dem Oberarzt wiederkam.
Die drei stellten sich mit ernsten Mienen hin und sagten, dass irgendwas nicht stimmen könne, weil das Kind sich gegen die Wehen wehrt. Vielleicht ist es nur die Nabelschnur, vielleicht ist es was Ernstes. Von außen könne man das halt nicht beurteilen. Uns wurde ans Herz gelegt, über einen Kaiserschnitt nachzudenken. Wenn wir den jetzt machen würden, könnten wir in Ruhe vorgehen, eine Spinalanästhesie machen lassen, und es wäre alles etwas entspannter. Wir könnten aber auch noch abwarten, was passiert, aber es könnte sein, dass es dann hektisch würde, ich müsste dann eine Vollnarkose bekommen und das Kind würde eventuell gefährdet.
Man ließ uns Zeit zum Überlegen, die Anästhesistin stand allerdings schon parat. Wir haben nur kurz geredet und sind zu dem Schluss gekommen, dass es verantwortungslos wäre, es auf eine natürliche Geburt ankommen zu lassen. Irgendeinen Grund wird das Kind schon haben, meine Wehen zu behindern und deutlich Signal zu geben. Weil ich auch unser Kind nicht gefährden wollte, habe ich ja gesagt. Ich hatte den Kaiserschnitt ja auch bei meinen ursprünglichen Überlegungen nicht hundertprozentig ausgeschlossen.
Wir wurden über die Spinalanästhesie aufgeklärt. Dann kam die Hebamme mit einem Katheter, den sie mir dann gelegt hat. Das war eine Erfahrung, die ich im Leben nicht noch einmal machen muss. Ich fand es grauenhaft, dass jemand einen Schlauch in meine Harnröhre schiebt, und abgesehen vom sehr unangenehmen Gefühl war es für mich auch noch erniedrigend. Nur für mein Kind habe ich das Ganze über mich ergehen lassen.
Danach wurde ich zu einem Bett gebracht und mit dem Bett in den OP gefahren. Da wimmelte es nur von Leuten, die sich zwar vorstellten, aber in dem Gewusel habe ich dann nur noch die Anästhesistin, die Hebamme und den Oberarzt erkannt. Und mein Mann tauchte dann irgendwann auch in OP-Kleidung auf.
Ich musste mich auf einen Tisch setzen, der aussah wie ein Kreuz. Mir wurde die Einstichstelle für die Spinale örtlich betäubt, dann kam die eigentliche Anästhesie. Hinlegen konnte ich mich selbst dann nicht mehr. Meine Beine wurden hochgehoben, ich wurde festgeschnallt und meine Arme wurden auf dem Querteil festgemacht. Danach kam die Anästhesistin mit einer kleinen kalten Rolle und hat die Wirkung der Betäubung getestet. Wenn es an den Stellen nicht gewirkt hatte, wurde der Tisch, auf dem ich lag, gekippt und gedreht, bis alles zur Zufriedenheit der Anästhesistin betäubt war.
Ich bekam einen Schaumstoffstöpsel mit Sauerstoff in die Nase geschoben und einen Sichtschutz vor mein Gesicht. Zwar wurde mir immer wieder erzählt, was mit mir gemacht wurde, aber ich habe mich recht hilflos gefühlt. Aufgeputscht war ich vom Adrenalin, weil ich nun bald mein Kind in den Armen halten würde.
Die Hebamme sagte, wenn alles in Ordnung wäre mit dem Kind, dann würde sie sofort erst zu uns kommen und uns das Kind zeigen. Danach würde sie verschwinden und zum Kinderarzt mit dem Kleinen. Aber sie würde so bald wie möglich dann wiederkommen. Sollte etwas nicht in Ordnung sein, dann würde sie uns das Kind nicht zeigen.
Ich spürte nun also, dass an meinem Bauch rumgedrückt und gezerrt wurde. Zwar habe ich versucht, zu erfahren, was man da mit mir macht, aber die Ärzte um mich meinten, dass ich das sicher gar nicht so genau wissen wolle. Das war jedoch genau der Punkt, der mir zu schaffen machte. Ich war hilflos gefesselt auf einem Tisch während sich mir fremde Leute an meinem Bauch zu schaffen machten, und ich konnte nichts tun, mir wurde nur das nötigste erklärt. Zusehen durfte ich schon gar nicht. Das Gefühl des Ausgeliefertseins war schrecklich, aber ich war dermaßen damit beschäftigt, mir vorzustellen, was mit mir gemacht wurde (immerhin hatte ich ja schon Kaiserschnitte im Fernsehen gesehen und wusste, wie das vonstattengeht), dass ich das Gefühl nach einem kurzen Eindruck beiseiteschieben konnte.
Die Hebamme kam und sagte, jetzt würde es nicht mehr lange dauern. Ich würde einen großen Druck verspüren, und dann wäre das Kind da. Der Druck kam, der Oberarzt sagte: „Sie können jetzt die Nabelschnur durchschneiden.“ Da das aber in dem Plauderton erfolgte, mit dem er vorher auch mit seinen Assistenzärzten gesprochen hatte, hat sich mein Mann gar nicht angesprochen gefühlt und musste erneut gebeten werden. Und dann hat er vergessen zu gucken, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.
Kurz darauf kam die Hebamme mit einem Bündel blutverschmierter Tücher, aus dem es ganz erbärmlich schrie. Darin lag das süßeste Mädchen, das ich je gesehen habe. Sie war sehr klein, blau und total verkrampft. Mir schossen die Tränen in die Augen und ich konnte gar nicht mehr aufhören, vor Glück zu weinen. Und da die Hebamme zuerst zu uns kam, wussten wir, dass alles in Ordnung sein musste.
Dann ging die Hebamme wieder und nahm meine Kleine mit zum Kinderarzt. Irgendwann kam sie wieder und drückte meinem Mann das Kind in den Arm. Die drei sind dann in den Gebärsaal zurückgegangen, damit ich in Ruhe zusammengeflickt werden konnte.
Während wieder an meinem Bauch gezerrt wurde, versuchte ich, die Anästhesistin dazu zu bewegen, mir zu sagen, wie weit die Ärzte mit mir waren. Aber ich habe wieder keine genaue Auskunft erhalten und musste vor mich hin warten. Natürlich konnte ich es nicht lassen, mit den Umstehenden Faxen und dumme Sprüche zu machen, weil das eben meine Art ist. An viel davon kann ich mich nicht erinnern, zu aufgeputscht war ich vom Adrenalin.
Um zurück in den Gebärsaal transportiert werden zu können, musste ich wieder auf das Bett gelegt werden. Mit vereinten Kräften und einer Schiebhilfe (oder wie auch immer das Ding heißen mag) wurde in ins Bett verfrachtet. Ich fühlte mich wie ein Mehlsack, bewegen konnte ich mich ja immer noch nicht.
Und endlich konnte ich mein Töchterchen in die Arme schließen. Sie wurde mir nackt auf meine nackte Brust gelegt, damit wir uns kennenlernen konnten. Ich bin noch nie glücklicher und kaputter gewesen in meinem ganzen Leben.
So langsam wachte mein Körper wieder auf, Anne wurde ein bisschen sauber gemacht und angezogen. Als ich meine Füße wieder bewegen konnte, durfte ich einen Tee trinken. Uns wurde viel Zeit gelassen, um uns zu beschnuppern und zu kuscheln.
Irgendwann tauchte dann der Oberarzt mit seiner Riege auf. Er sagte, dass es die richtige Entscheidung gewesen sei, einen Kaiserschnitt vorzunehmen. Sie sei, wie man sehen könne, sehr klein und schwach, und mal angesehen davon, dass sie zusätzlich noch die Nabelschnur um den Hals hatte, hätte sie eine natürliche Geburt nicht überlebt. Dass sie so klein und schwach sei, läge daran, dass meine Plazenta völlig verkalkt sei. Man habe sie für weitere Untersuchungen eingeschickt, das Ergebnis könne ich dann bei meiner Gyn erfragen. Ob ich während der Schwangerschaft geraucht hätte? Das habe ich verneint, was ein wenig gelogen war, weil ich ganz am Anfang insgesamt mindestens 8 Zigaretten geraucht habe. Aber ansonsten habe ich während der Schwangerschaft völlig asketisch gelebt. Keine Rohmilch oder Rohmilchprodukte, kein rohes Fleisch, immer habe ich aufgepasst. Und trotzdem war meine kleine Tochter unterversorgt.
Später wurde ich dann aufs Zimmer gefahren, Anne und mein Mann immer bei mir. Mein Mann ist dann irgendwann nach Hause gefahren, ich durfte mit meiner Süßen die Nacht verbringen. An Schlaf war nicht viel zu denken. Da ich Hormone durch den Tropf bekam, hatte ich die ganze Nacht Nachwehen. Trotz Schmerzmitteln war das nicht gerade schlaffördernd. Aber ich konnte ja mein Kind ansehen und seine Hand halten, das hat mich schon glücklich genug gemacht.
Ein zweites Bett wurde irgendwann gegen Morgen in das Zimmer geschoben. Nachdem der zugehörige Mann gegangen war, habe ich den Vorhang, den die Schwester für mich zugezogen hatte, zurückgeschoben, und habe gesehen, dass ich die Frau sogar schon aus dem Geburtsvorbereitungskurs kannte. Bei ihr war alles glattgegangen, das Kind, ein Junge, war 7 cm größer als meine Kleine und über ein Kilo schwerer. Und das, obwohl er zehn Tage zu früh war und recht kleine Eltern hat.
Die nächsten Tage sind ein Erinnerungswust aus Schlaflosigkeit, weil ich bei dem Krach kaum schlafen konnte. Irgendwo schrie immer ein Kind, irgendwo piepte immer die Klingel nach einer Schwester. Tagsüber konnte ich dann nicht schlafen, weil ich immerzu meine kleine wunderbare Tochter ansehen musste und so kein Auge zubekam.
Ich bekam Besuch von Bekannten und Freunden, mein Mann kam so oft es eben ging. Meine Eltern konnten meine Kleine auch noch sehen, bevor sie am Montag nach der Geburt wieder gefahren sind.
Montag durfte ich dann auch wieder aufstehen, mit einer Schwester an der Hand. Tropf und Urinbeutel musste ich auch noch irgendwie mitschleppen, aber ich durfte mir dann doch mal den Intimbereich mit Wasser erfrischen. Ich konnte allerdings kaum Laufen vor lauter Schmerzen an der Naht. Der Katheter war sehr unangenehm beim Aufstehen und Gehen. Ehrlich gesagt, war das das Schlimmste an dem Tag: das Gefühl des Katheterschlauchs zwischen meinen Beinen und in meiner Harnröhre.
In der Nacht habe ich meine Kleine auf meiner Brust schlafen lassen. Drehen konnte ich mich sowieso nicht, weil ich auf beiden Seiten „verkabelt“ war, und so hatten wir auch in der Nacht noch was voneinander. Und ich konnte reagieren, bevor sie anfing, zu schreien und sie füttern.
Dienstag wurde mir der Katheter endlich gezogen. Das Gefühl war zum Weglaufen, aber dann war es endlich vorbei. Mein Toilettengang war auch befriedigend, Blase leer. Aber die Naht tat immer noch sehr weh, bis der Verband (eine festgetapete Mullbinde) gewechselt wurde. Da wurde mir dann klar, dass die Schmerzen vom Tape kamen. Die Wege zur Toilette wurden dadurch erheblich vereinfacht. Und geduscht habe ich auch. Ich habe mich wieder wie ein Mensch gefühlt.
Mittwoch bin ich schon relativ viel aufgestanden und herumgelaufen. Es ging mir gut. Nein, ehrlich gesagt, ging es mir fabelhaft. Meine Kleine hat nicht viel geschrien, hat sich so ziemlich regelmäßig alle drei Stunden zu Wort gemeldet, weil sie Hunger hatte. So konnte ich mich schon darauf einrichten, wann ich wieder stillen musste. Und ich durfte das Sprudelbad benutzen, was ich sehr erholsam fand. Allerdings musste ich dafür meine Kleine im Kinderzimmer abliefern. Ich war froh, als ich sie wieder abholen konnte, denn irgendwie fehlte mir etwas ohne sie.
Meine Brüste machten mir am meisten zu schaffen. Die Brustwarzen waren so wund, dass die Stillberaterin fast in Tränen ausgebrochen wäre. Aber ich habe nun mal fürs Stillen ziemlich schlechte Flachwarzen, die trotz Stillhütchen dann halt wund und schmerzend waren. Den Schmerz habe ich durchgestanden, ich wusste ja, dass es irgendwann besser werden würde. Und Muttermilch ist halt das Beste, was einem Säugling an Nahrung zur Verfügung steht.
Donnerstag verging ohne benennenswerte Ereignisse. Freitag wurde meine Zimmergefährtin entlassen, und ich sollte eine Nacht allein verbringen (natürlich mit Anne auf dem Zimmer). Ich wollte dann am Samstagmittag nach Hause, weil mein Mann Freitagabend nicht da gewesen wäre und am Samstag erst mittags kommen konnte.
Freitag wurde bei mir die Entlassungsuntersuchung gemacht. Währenddessen habe ich die Ärztin nach dem Befund der Einschickung meiner Plazenta gefragt. Sie meinte, die Plazenta sei an einer Stelle gar nicht angewachsen gewesen. Das sei auch der Hauptgrund für Annes Unterversorgung gewesen. Auf meine Frage, ob das eventuell das Resultat der Blutungen während der Schwangerschaft gewesen sein könnte, wollte sie mir nicht eindeutig beantworten.
Eine der Schwestern hatte gesehen, wie ich nachts mit meine Kleine auf dem Bauch schlief und mir vorgeschlagen, ich könne meine Kleine neben mich ins Bett legen. Sie wurde dann auf der rechten Seite vom Stillkissen, das durch den Kinderwagen gegen Runterfallen fixiert war, geschützt, auf der anderen Seite lag ich. Gegen den Lärm auf der Station stopfte ich mir ein Oropax in das freie Ohr, mit dem anderen konnte ich meine Kleine durch Kissen und Matratze hören. Das war die erste Nacht, in der ich mehr als drei oder vier Stunden geschlafen habe. Leider war diese Position ziemlich verkrampft, weil ich Angst hatte, aus dem Bett zu fallen, und ich bekam fürchterliche Gliederschmerzen im unteren Rücken und in den Beinen. Allerdings wusste ich zu dem Zeitpunkt noch nicht, was der Grund für die Schmerzen war.
Da ich aber die ganze Zeit über viel zu wenig Schlaf bekommen und viel zuviel Adrenalin verpulvert hatte, forderte mein Körper in der Nacht von Freitag auf Samstag Tribut. Ich bekam Fieber. Und obwohl ich den Schwestern und Ärzten versicherte, dass das nur Erschöpfung sein musste, haben sie mich nicht gehen lassen. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass man niemanden mit Fieber aus dem Krankenhaus entlässt, aber es hat mich trotzdem enttäuscht, dass ich nicht nach Hause gehen konnte. Dabei wollte ich nur noch nach Hause in mein eigenes Bett und schlafen, ohne dass die ganze Nacht Krach ist. Von nun an habe ich die meiste Zeit nur geweint. Zwar habe ich versucht, mich mit Lesen abzulenken, aber das klappte nur zeitweise.
Es wurde auch noch ein Bluttest gemacht, der aber keine nennenswerten Ergebnisse brachte. Nun wurde an mir untersucht, was die Ursache für mein Fieber sein könnte. Erschöpfung kam ja nicht in Frage, es musste etwas sein, das man mit Medikamenten behandeln kann.
Mir wurde eine Milchpumpe gegeben, weil es ja sein konnte, dass sich zuviel Milch angestaut hatte, und man sollte die Brust bei Stillen mit Stillhütchen sowieso einmal am Tag leerpumpen. Brust leergepumpt, Fieber noch da.
Wenn es mir am nächsten Tag besser ginge, dann könne ich nach Hause, wurde mir gesagt.
Abends war ich dann völlig fertig. Ich konnte mich kaum noch bewegen und mein Fieber tat das übrige. Abends hatte ich nicht einmal mehr die Energie, meine Kleine zu stillen, und so bat ich die Schwester, ihr die abgepumpte Milch zu geben und zum ersten Mal seit den ersten zwei Nächten überließ ich einer Schwester das Wickeln von meine Kleine. Ich hatte keine Kraft, aufzustehen.
Die Schwester der Spätschicht gab mir ein Wärmekissen für meinen geplagten Rücken, das tatsächlich gegen die Gliederschmerzen half. Ganz weg waren sie leider aber immer noch nicht. Außerdem sorgte das Kissen dafür, dass ich gehörig schwitzte und das Fieber erst hoch und dann ein bisschen nach unten ging.
Da das Fieber am Sonntagmorgen leider nur leicht zurückgegangen war, wurde wieder ein Bluttest gemacht. Diesmal waren meine Entzündungswerte erhöht, und in Kombination mit den Gliederschmerzen konnte das ja nur eine Brustentzündung sein.
Also wurde versucht, mir einen Zugang zu legen. Das war aber nicht so einfach, die Hebamme, die mich bei der Geburt gestochen hatte, scheiterte nun. Also wurde ein Anästhesist geholt, der das wirklich fabelhaft hinbekommen hat. Keine Schmerzen, ich konnte sogar zusehen. Und dann wurde mir Antibiotikum gegeben.
Völlig verzweifelt, dass ich immer noch nicht nach Hause konnte, weite ich wieder den ganzen Tag. Und die Schwester meinte, sie könne mich ein bisschen aufmuntern, indem sie mir von ihren Schmerzen im Kiefer erzählte, der jetzt schon sooo lange schmerzte und wo keine Ursache gefunden würde. Gesagt habe ich nichts, aber ich habe echt nur gedacht, was die mir überhaupt vormachen will. Ich habe freiliegende Zahnhälse, ich weiß was Zahnschmerzen sind. Und ich werde die höchstens los, wenn ich die Zähne verliere. Buu-huu.
Merkwürdigerweise sprach ich sehr schnell auf das Antibiotikum an. Schon nach der ersten Dosis war das Fieber gesunken. Als ich der Schwester von meiner Hoffnung erzählte, dass ich vielleicht Montag nach Hause könne, da sah die dem ganzen etwas kritisch ins Auge. Und als ich daraufhin meinte, dass man mir dann auch genauso gut noch Antidepressiva in den Tropf geben könnt, meinte sie, dass sie dann schon lange hätte depressiv werden müssen.
Mir ging es von Stunde zu Stunde besser, mein Fieber sank. Und mit jedem Zehntelgrad stieg die Hoffnung, am Montag gehen zu können.
Montagmorgen wurde wieder Blut abgenommen. Ich war guter Dinge, denn heute ging es mir wieder richtig gut. In der Nacht hatte ich meine Kleine wieder selbst gewickelt und ich fühlte mich voller Energie und Zuversicht. Die Schwester, die sich die ganze vorige Woche um mich gekümmert hatte, war wieder da und baute mich zusätzlich noch auf, weil sie sich auch sicher war, ich könne wieder nach Hause.
Anne wurde abschließend untersucht, alles war in bester Ordnung.
Dann kam die Ärztin. Die Entzündungswerte waren gesunken, das Fieber war nur noch erhöhte Temperatur. Doch die Ärztin war der Meinung, man solle mich noch eine Nacht da behalten, zur Beobachtung. Ich könne dann morgen sicher gehen. Da bin ich fast wahnsinnig geworden, habe gesagt, dass ich dann sicher noch nächstes Jahr da wäre, weil ich genau diese Aussage schon seit drei Tagen hören würde. Auch die Schwester guckte die Ärztin irritiert an. Die Ärztin ging und wollte sich darum kümmern.
Meine Laune war wieder im Keller, alle Energie weg, ich konnte nur noch daran denken, dass ich noch einen Tag in meinem Zimmer gefangen sein würde. Ich hatte mein Zimmer in den letzten zwei Tagen nur zum Frühstück verlassen, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie alle Frauen um mich herum Besuch von ihren Familien bekamen. Mich kam zwar mein Mann besuchen, zum Schluss zweimal am Tag, aber der Rest meiner Familie war viel zu weit weg, um zu mir zu kommen.
Meine Mutter rief regelmäßig an, aber das war auch nicht dasselbe. Und meine Geschwister hatten sich noch überhaupt nicht gemeldet. Meine beste Freundin hatte meinen Hilferuf erhalten und rief glücklicherweise an, so konnte ich mich bei ihr ausheulen. Trotzdem kam in den drei Tagen alles zusammen. Heimweh nach meiner Familie, Heimweh nach meinem Mann, Heimweh nach meinem Zuhause, Einsamkeit, Elend überhaupt.
Samstagmorgen war ich voller Energie gewesen, ich war mir sicher, dass ich alles hinbekommen würde. Montagmittag war das alles wie weggeblasen. Alles kam mir wie ein unüberwindbarer Berg vor. Ich würde es nicht schaffen und daran scheitern.
Die Schwester kümmerte sich darum, dass mich die Ärztin entließ. Sie meinte, die Schwestern seien auch irritiert, weil sie sich sicher gewesen waren, dass ich nach Hause gehen könnte. Glücklicherweise hatte ich Verbündete.
Spätnachmittags war es dann tatsächlich so weit. Ich bekam eine erneute Entlassungsuntersuchung und durfte nach Hause gehen.
Danach war ich nur noch unsicher. Ich wusste überhaupt nichts mehr, ich klammerte mich an meine Kleine und war kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Außerdem hatte ich Angst, irgendwelchen Leuten zu begegnen, weil die mich für eine schlechte Mutter halten könnten.
Dienstagabend bin ich um sieben Uhr ins Bett gegangen, damit ich nur nicht den Konfirmanden begegnen muss. Ich versteckte mich hinter der Ausrede, dass ich sonst nicht genug Schlaf bekommen könnte. In Wirklichkeit hatte ich pure Panik, die Kinder zu sehen.
Auch vor anderen Leuten hatte ich Angst. Ich war wie gelähmt, konnte einfach nichts anderes tun, als mich um meine Kleine zu kümmern. Mein Mann versuchte, mich zum Spazierengehen zu bewegen, aber ich war völlig blockiert und wollte nur im Haus bleiben.
In meiner Verzweiflung rief ich bei meiner Mutter an, die mir riet, mir eine Hebamme zu nehmen. Die hätte aber die Krankenkasse nicht bezahlt. Und in dieses Elend kam der Anruf der Dame von der Mütter-/Väter-Beratung.
Diese Dame war meine Rettung. Sie sagte, dass es meine Kleine gut gehe, und ich sicher nicht alles falsch machen würde. Aber ich sollte mal mit Anne rausgehen, das indirekte Sonnenlicht würde uns sicher gut tun. Und zwar uns beiden. Also sind wir rausgegangen, und wir haben eine Freundin besucht.
Seitdem gehe ich regelmäßig raus. Wir gehen spazieren und auch unter Leute. Wir waren schon zweimal im Chor, dreimal im Gottesdienst und in der Gemeindeversammlung. Den Weltgebetstag habe ich tatsächlich geschaukelt, auch wegen des guten Teams, das ich hatte.
Jetzt frage ich nur, warum ich Phasen habe, in denen ich einfach nur weine. Ohne richtigen Grund, denn ich bin nicht völlig erschöpft, ich bekomme halbwegs genug Schlaf (so sechs bis sieben Stunden pro Nacht), ich muss nur höchstens zweimal in der Nacht stillen und schlafe danach auch schnell wieder ein, mein Haushalt sieht nicht viel schlimmer aus als vorher (Motivationsprobleme habe ich jedenfalls keine), Anne ist ein eigentlich echt liebes Kind und macht nicht viele Umstände. In der Öffentlichkeit handle ich meist nach dem Motto „Lächeln und winken“, auch wenn ich am liebsten heulen würde. Diese Traurigkeit kann mich überall und plötzlich überfallen und ich muss echt dagegen ankämpfen, in Tränen auszubrechen. Achtzig Prozent der Zeit geht es mir gut, es geht mir sogar immer besser, aber trotzdem bleibt es beim Heulen.
Ab und an habe ich schlimme Gedanken, die folgendermaßen aussehen:
Wenn ich meine Kleine nach einem Spaziergang im Kinderwagen schlafen lasse und mich über irgendwelche Hausarbeit hermache, wie früher mit Musik und guter Laune, dann keimt auf einmal der Gedanke in mir, Anne könne tot im Kinderwagen liegen, und ich hätte gut gelaunt Hausarbeit gemacht. Sofort ist natürlich die gute Laune weg.
Habe ich meine Kleine im Tragetuch, überkommt mich die Vision, dass sie tot im Tuch liegt und ich merke es nicht. Dasselbe in grün kommt dann ab und an beim Spazierengehen, wenn ich denke, sie liegt tot im Kinderwagen und ich sehe es nicht.
Wenn sie mich anlächelt habe ich die Horrorvision, dass sie mich irgendwann anstrahlt und dann stirbt.
Einzig sicher ist die Wiege, weil da ein Angel Care dran hängt. Aber nachts schläft sie bei mir im BabyBay, wo nichts angeschlossen ist. Bisher ging das noch, ich hab auch schlafen können, aber ich weiß nicht, wie lange noch.
Jemand konnte mir den Tipp geben, diese Gedanken zuzulassen und aktiv dagegen vorzugehen, indem ich mir selbst sage, dass Säugling nicht einfach so sterben und meine Kleine gestern nicht gestorben ist, jetzt also auch nichts passieren wird. Das hat mir schon sehr geholfen.
Meine Schwester riet mir, mich um Hilfe zu kümmern. Und meiner Schwester widerspricht man nicht, sonst gibt’s Ärger. Aber ich hätte mich wahrscheinlich auch so irgendwann nach Hilfe umgesehen.
Was für mich sehr erschreckend war, war die Tatsache, dass mir erst beim Schreiben aufgefallen ist, wie verwischt die drei zusätzlichen Tage im Krankenhaus sind. Nur mühsam und mit viel Gedächtnisakrobatik habe ich die einzelnen Ereignisse den jeweiligen Tagen zuordnen. Da bin ich echt nur knapp einer Depression entkommen! Hoffentlich geht es mir bald besser!
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