Es gibt eine Frage, die man in einer Beziehung nie stellen sollte. Meistens kommt sie, wenn man sich gerade im Bett verausgabt hat und nun Arm in Arm nebeneinander liegt, das Nachglühen genießend. Genau dann kommt die erschreckendste aller Fragen. Die Frage, auf die es nie eine ehrliche Antwort gibt. Die Frage, die schon übelste Weltkriege ausgelöst und zur Ausrottung ganzer Kulturen geführt hat. Man kann sich gut vorstellen, wie Napoleon neben seiner Josephine liegt, sie diese undankbaren Worte von sich gibt und er plötzlich die Idee bekommt: "Russland erobern. Ja, Russland erobern ist eine tolle Idee. Töten, vernichten, bloß weg von hier!"
Also, du liegst da mit deinem Liebsten im Arm, döst vor dich hin, genießt die schöne Leere im Kopf, weil das Blut immer noch nicht aus den tieferen Körperregionen hervorgekrochen ist, und dann kommt diese völlig unschuldige "Schahatz?" Total unschuldig und unverbindlich. Aber du weißt trotzdem, was gleich kommt, die roten Lämpchen in deinem Kopf fangen an zu blinken. Diese unschuldige "Schahahatz?" ist die Einleitung zu der Frage, von der jeder ehrliche Mensch Schweißausbrüche bekommt, gefolgt von Panikattacken und Beklemmungszuständen. Vier Worte, die in der richtigen Zusammensetzung eine Frage ergeben, die nie ehrlich beantwortet werden kann, ohne den dritten Weltkrieg auszulösen, oder zumindest eine Beziehungskrise der Stärke 6,8 auf der Richterskala auszulösen. Und dann kommen sie, die Worte, die besser ungesagt bleiben sollten. Du versuchst verzweifelt, nicht hinzuhören, aber weil sein Kopf auf deiner Brust liegt, hörst du es auch von innen. Du überlegst, ob du dich nicht doch noch irgendwie aus der Affäre ziehen kannst, indem du ganz plötzlich aufspringst und zum Klo rennst, aber da ist es auch schon passiert. "Schahatz? Was denkst du gerade?" Deine Nackenhaare stellen sich auf, die süße Schwere in deinen Gliedern verfliegt, als wäre sie nie dagewesen.
Was zum Henker sollst du nun bloß antworten? Dass du gerade darüber nachgedacht hast, dass du morgen im Büro eine Aktennotiz schreiben musst, dieses eine Detail fertigzeichnen solltest und hinter dem einen Kerl hinterhertelefonieren musst, der dir nötige Angaben für deine Zeichnung geben muss? Oder, dass du versucht hast, den morgigen Einkauf zu planen, dass du noch Äpfel, Milch und Eier brauchst, und du auf gar keinen Fall frisches Brot vergessen darfst. Oder, dass du überlegt hast, ob du noch mal aufstehen sollst, um dir was zu essen zu machen. Das wäre die ehrliche Version. Die Reaktion auf diese Antworten würde Godzillas Verwüstungen in den Schatten stellen. Im besten Fall käme ein bissiges "Ach ja?" als Antwort, bevor sich der Partner mit dem Rücken zu dir dreht. Wenn du ihm aber erzählst, dass du dir gerade vorgestellt hast, Brad Pitt würde neben dir liegen, und dass er dich aus deinem schönen Tagtraum gerissen hat, dann kannst du dich auf die Szene deines Lebens vorbereiten. Unnette Dinge wie "Dann versuch doch, an ihn ranzukommen, wenn er so viel toller ist als ich!" sind noch die harmloseren Dinge, die er von sich gibt.
Denn auf die Frage: "Was denkst du gerade?" wird eine romantische und gefühlvolle Antwort erwartet. Weil aber dein Gehirn noch nicht arbeiten kann, die roten Alarmlampen blinken, und du eigentlich nur deine Ruhe haben willst, und du ohnehin schon mit dieser Frage gerechnet hast, weil du ja kein Beziehungsneuling bist, warst du clever genug, dir vorher schon mal Antworten zu überlegen und auswendig zu lernen. Du hast also die Wahl zwischen "Ich habe gerade daran gedacht, ...
- wie sehr ich dich liebe!"
- dass es einfach traumhaft ist, so neben dir zu liegen!"
- wie glücklich du mich machst!", und
- dass deine Augen die gleiche Farbe haben wie der Himmel im Sommer, kurz bevor die Sonne untergeht."
Du sagst also deinen Spruch auf, der Partner ist zufrieden, und du kannst wieder in deiner eigenen Gedankenwelt versinken. Alles ist Friede, Freude, Eierkuchen, weil du gelogen hast.
Wer jetzt denkt, diese Frage wird nur von Frauen gestellt, der liegt komplett falsch. In meiner letzten Beziehung durfte ich besagte Schweißausbrüche und Panikattacken am eigenen Leib erfahren, überboten nur von meinen klaustrophobischen Anfällen bei der Frage: "Wie sieht deine Traumhochzeit aus?" Na, sicher hab ich schon an Heiraten gedacht. Ich hatte auch vorher schon zwei Männer gehabt, die ich geheiratet hätte, und den damaligen Partner wollte ich eigentlich auch heiraten. Irgendwann mal. Später. Aber die konkrete Frage, wie diese Hochzeit aussehen sollte, hat mich in Erklärungsnot gebracht. Aber weil ich leider ein grundehrlicher Mensch bin, habe ich blöde Kuh wahrheitsgemäß geantwortet: "Da hab ich so genau noch nie drüber nachgedacht." Das Gesicht meines Gegenübers wurde länger. "Stellst du dir nie vor, wie unsere Hochzeit mal aussehen könnte?" Mein ehrlicher Mund antwortete schon, bevor mein Kopf eine Notlüge formulieren konnte: "Nein, das ist einfach noch zu lang bis dahin. Werd du erstmal mit dem Studium fertig!" Mein Freund hätte im Stehen seine Schuhe mit seinem Kinn polieren können...
Solche Fragen sollten grundsätzlich verboten werden, zusammen mit weiteren Unmöglichkeiten wie "Wie sehr liebst du mich?", "Liebst du mich noch?" und "Wie war ich?", letzteres wahlweise auch abgewandelt in "War's für dich auch gut?".
All diese Fragen haben drei Gemeinsamkeiten: sie werden meist im Bett nach dem Sex gestellt, werden von einem "Schahatz?" eingeleitet und können zu neunundneunzig Prozent nicht ehrlich beantwortet werden, ohne eine mittlere bis schwere Katastrophe auszulösen.
Also: lieber den Mund halten und still genießen. Wenn ich jemanden liebe, dann sage ich ihm das ungefragt. Freiwillig. Und hundertprozentig ehrlich.
1 Kommentar:
Du sprichst mir aus der Seele.
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