Dienstag, Oktober 31, 2006

Liebenswerte Personen in meinem Umfeld

Heute muss ich mal was über meine Nachbarin, die Hexe, erzählen.
Die Hexe ist Anfang 70 und wohnt am Ende des Flures. Ihre Wohnung ist vom Flur noch zusätzlich durch eine Glastür abgetrennt. Am Ende des Flures gibt es auch ein Fenster, das aber mit einem Tuch verhängt ist, um neugierigen Blicken aus den Nachbarhäusern oder von der Straße vorzubeugen.
Die Hexe sieht wirklich aus wie eine Hexe. Das Haar streng nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Das Gesicht zu einer verbissenen Fratze verzogen sieht sie so aus wie der Alptraum von Hänsel und Gretel.
Das erste Mal bin ich ihr begegnet, wie sie laut mit sich selbst redend den Flur herunterlief, umdrehte, sobald sie mich sah und schnurstracks in die andere Richtung zurücklief. Ein bisschen habe ich mich schon gewundert, aber ich dacht bei mir: "Vielleicht hat sie was vergessen und ist deshalb nochmal zurückgegangen."
Bei unserer zweiten Begegnung kam ich mit dem Fahrstuhl angebraust (unser Fahrstuhl erreicht fast Lichtgeschwindigkeit, es ist wirklich beängstigend! Nur noch ein bisschen schneller und ich könnte mit diesem Fahrstuhl Einsteins Relativitätstheorie testen!), die Tür ging auf, und sie stand davor, wartend. Als sie mich sah, machte sie auf dem Absatz kehrt und lief den Flur hinunter in Richtung des anderen Aufzugs (weil ich im Altenheim wohne gibt es hier einen Personen- und einen Lastenaufzug). Ich habe mir wieder nichts dabei gedacht.
Vor unserer nächsten Begegnung hatte ich einige Gespräche mit dem Hausmeister, dem Wochenend-Pförtner und meiner anderen Nachbarin, die ich, damit es nicht zu Verwechslungen kommt, hier A. nennen werde. A. wohnt übrigens direkt neben der Hexe.
So fand ich folgende wunderbare Dinge über die Hexe heraus:
  • Die Hexe beschwert sich am laufenden Band über ihre Nachbarn. Über den Vormieter von A. hat sie gesagt, er würde in der Dusche masturbieren, wenn sie nackt unter ihrer Dusche stünde. Und er wollte sie vergewaltigen.
  • Die Hexe braucht keine Nachbarn. Sie hat gesagt, dass A. doch mittlerweile lange genug dort wohnen würde und langsam wieder ausziehen könnte. Und hinterher müsste dort auch keiner wieder einziehen. Sie braucht keine Nachbarn.
  • A. feiert Orgien auf ihrem Balkon. Vor allem an Wochenenden. (Dass A. jedes Wochenende heim zu Familie und Freund fährt, hat sie wohl nicht bemerkt.)
  • A. macht perverse Geräusche unter der Dusche, wenn die Hexe nackt unter ihrer Dusche steht (kommt das nicht irgendwie bekann vor?).
  • Jemand klaut regelmäßig die Unterwäsche der Hexe aus der Waschmaschine.
  • Jeder will sie vergewaltigen. Nicht nur Männer, einfach JEDER!

Unsere nächste Begegnung sah folgendermaßen aus: Ich kam gerade von der Arbeit wieder und hörte sie schon laut lamentieren, als ich aus dem Treppenhaus auf den Flur trat. Geistig stellte ich mich schon darauf ein, dass sie mir entgegenkommen und sofort wieder umdrehen würde, doch als ich um die Ecke kam, schlug nur die Glastür zu. Wärend ich meine Wohnungstür aufschloss sah ich aus dem Augenwinkel, wie sie die Glastür wieder einen Spalt geöffnet hatte und den Kopf herausstreckte. Nachdem ich meine Tür hinter mir zugemacht hatte, konnte ich sie wieder auf dem Flur reden hören.

Ich mein, Selbstgespräche führ ich selbst. Aber nicht den ganzen Tag lang und in einer Lautstärke, mit der sie den gesamten Wohnkomplex beschallen kann!

Auch alle weiteren Treffen waren von Wärme und Freundlichkeit gekennzeichnet:

Ich war mit meinem Wäschekorb auf dem Weg in den Waschkeller und wartete auf den Aufzug. Die Türen öffneten sich, und die Hexe stand im Aufzug und starrte mich an. Ihr Gesicht verzog sich zu einer alles andere als freundliche Fratze. Irgendetwas von einem "blauen Wäschekorb und immer wieder hin und her" murmelnd drückte sie sich an der Wand entlang aus dem Aufzug. Als hätte ich 'ne ansteckende Krankheit!

Einmal hatte ich Besuch, und wir gingen zum Aufzug, um in meinen Stock zu fahren. Neben dem Aufzug stand ein Stuhl, auf dem sich die Hexe niedergelassen hatte. Als sie mich kommen sah, stand sie auf, sagte sie deutlich hörbar: "Da isse ja schon wieder!", verzog ihr Gesicht und ging weg. Mein Begleiter sah mich an, meinte nur: "Na, die kann dich aber gut leiden!" und fing an zu lachen.

Ich stand mal wieder mit meinem Wäschekorb vor dem Aufzug (es ist fast immer der Wäschekorb, weil ich sonst die Treppe laufe). Der Aufzug kam, und wer stand drin? Die Hexe natürlich. Sie starrte mich an, auf ihre liebenswürdig hassende Art und Weise und blökte: "Die schon wieder, und wie se wieder glotzt!" Etwas fassungslos über diese unerwartete Freundlichkeit erwiderte ich "Ja, ich mag Sie auch nicht." Aber ob sie das gehört hat, weiss ich nicht.

Einer Bekannten ist folgende nette Episode passiert:

Sie ist mit der Hexe im Aufzug gefahren und hat ihr einen guten Abend gewünscht. Sehr höflich halt, meine Bekannte. Die Antwort der Hexe war allerdings ungefähr dies: "Was fällt Ihnen eigentlich ein, mich anzusprechen! Lassen Sie mich in Ruhe!" worauf meine Bekannte sprachlos war, was sehr selten vorkommt.

Naja, ab und an begegnet sie mir immer noch auf dem Flur. Und dreht natürlich motzend sofort wieder um. Manchmal frage ich mich, ob ich wirklich so furchteinflößend aussehe. Aber warum haben dann meine jüngeren Geschwister alle keinen Respekt vor mir?

Mein größter Wunsch ist es, dass mal mein Liebster da ist, wenn sie ihren Kopf aus der Glastür streckt. Und dann bekommt sie eine nette kleine Knutsch.Show auf dem Flur geliefert.... Mal sehen, was sie dann dem Hausmeister erzählt!!!

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