Montag, November 20, 2006

Heimatlos

In letzter Zeit hatte ich kaum Gelegenheit, Heimweh zu bekommen. Ich war oft zu Hause, und hatte auch oft Besuch in meinem neuen Heim. Dafür macht sich langsam ein neues Gefühl breit. Bisher war mir immer klar, wo ich hingehöre, wo mein Herz liegt.

Ich habe fast mein ganzes Leben in meiner Heimatstadt W. verbracht. Meine Familie wohnt seit Generationen hier, und der größte Teil meiner Familie lebt immer noch in der Stadt. Meine Freundinnen kenne ich seit meiner Schulzeit, mein Bekanntenkreis ist riesig. In der Kantorei singe ich seit 16 Jahren, ich habe lange Jahre Kinder- und Jugendarbeit in der Kirchengemeinde gemacht, helfe beim alljährlichen Missionsbasar und bin Mitglied im Presbyterium. Auch wenn ich schon lange nicht mehr beim Training war haben mich die anderen dort nicht vergessen. Egal, wo ich hingehe, die Leute kennen mich, oder zumindest meine Eltern.

Dann der Umzug nach L., in eine völlig fremde Umgebung. Kein Mensch, der mich kennt, keine Freunde, nicht einmal ein mäßig bekanntes Gesicht in der ganzen Stadt. Es war schrecklich, so einsam hatte ich mich noch nie vorher gefühlt.

Mir war ganz eindeutig klar, dass ich nach W. gehöre, wo mein gesamtes soziales Umfeld ist, wo ich aufgewachsen bin, wo die Wohnung ist, die ich selbst entworfen habe, an der ich jahrelang mitgebaut habe, und in der ich mich mehr als wohl fühle.

Doch jetzt habe ich angefangen, mich auch in L. Ein wenig zu integrieren. Ich singe neuerdings in der Kantorei mit, und ich habe mich verliebt. Und die Arbeit ist natürlich auch ein sehr wichtiger Faktor, weil meine Zukunftsaussichten in meiner Heimat alles andere als rosig sind.

Jetzt weiss ich langsam nicht mehr, was ich machen soll. Dadurch, dass ich in W. viel vom Leben verpasse, fühle ich mich nicht mehr richtig zugehörig. Und weil ich langsam auch ein bisschen Sozialleben in L. führe, kommt der leise Hauch eines "Zu-Hause"-Gefühls auf.

Ich fühle mich mehr und mehr heimatlos. In W. nicht mehr ganz zugehörig, in L. am Anfang einer Zugehörigkeit.

Bin ich in L., vermisse ich meine Familie, meine Freunde, meine Wohnung, meine Nachbarn, meine Straße und die nächtliche Stille. Mir fehlt die Nähe zu den Menschen, die ich mag und die mir sehr viel bedeuten. Wenn ich in W. mal in den Arm genommen werden will, dann fahre ich mal eben zu meiner Freundin, oder ich gehe zu meinen Eltern. Ich vermisse das allsamstägliche Frühstück mit der Familie. In L. fühle ich mich einfach ziemlich verlassen und allein.
Bin ich in W., dann fehlen mir meine Kollegen, der Ausblick aus meinem Fenster (der echt der Hammer ist!) und, vor allen Dingen, mein Liebster.
Ich kann wirklich nur hoffen, dass ich im nächsten Jahr einen Weg aus diesem Schlamassel finde, denn ich fühle mich an beiden Orten nicht hundertprozentig komplett, weil mir an beiden Orten wichtige Dinge fehlen. Das ist wirklich kein schönes Gefühl.
Ich will nicht länger heimatlos sein!

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